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Bericht Nr. 12

11. April 2013, Position: 40°´46´ N; 36°42` W,

Bordzeit 17:40 Uhr (UTC - 3) Heimatzeit 22:40 Uhr (UTC + 2), TWS 27kn, SOG 10,5, COG 55°

 

Heute ist Donnerstag. Und Donnerstag ist Seemannssonntag. Und da gibt es
Kuchen, wie jeder weiß, der mit Heinz Schultz in seinem Leben in Berührung
kam. Also gab es bei uns heute Kuchen.
Es gab auch noch einen weiteren Grund zum Feiern: Die Haspa Hamburg hat
pünktlich um 15:00 Uhr Bordzeit die 2.000 Meilengrenze überschritten. An
Bord nennt es sich salopp "Bergfest" - der errechnete oder gefühlte
Zeitpunkt, mit dem die Mitte der Reise festgelegt wird.
Ausserdem hatte die Haspa Hamburg wieder einen Tag mit Rauschefahrten hinter sich. Der neue Geschwindigkeitsrekord liegt bei 25 kn, heute gesegelt von Holger. Nun kommen solche Geschwindigkeiten nicht ohne Wind zustande. Neben dem Spaß steckt hier auch eine Menge Energie in der Besonnenheit der Crew um Schiff und Material. Entsprechend hatten wir die Steuerleute
zwischenzeitlich alle 20 min. ausgetauscht. Unter Deck wurde fleißig für die
Versorgung der sportlichen Höchstleistungen an Deck gesorgt. Und nachts
haben sich uns die ersten Delphine anfeuernd an die Seite gesellt.
Für Heinz Schultz: Es gab nicht irgendeinen Kuchen, sondern den, für den
selbst in der Fastenzeit gesündigt werden darf - Jules Muffins. So und jetzt
seid ihr dran. Denn jeder, der Jules Muffins kennt, weiß, dass die eine
Sünde wert sind. Und die ist sicher auch erlaubt. Denn dort, wo
Moralvorstellungen der christlichen Seefahrt auf Traditionen wie dem
Seemannssonntag treffen, stellt sich die Frage, zu wessen Gunsten dieses
Dilemma aufgelöst werden soll.
Nun, zweifelsohne sind Seeleute im Allgemeinen und die Segler der
Haspa-Hamburg im Besonderen voller Demut vor den Naturgewalten, denen sie
sich ein- und unterordnen müssen. Die ist umso mehr angebracht, als jeder
weiß, der auf dem Nordatlantik fährt, ihn irgendwann eines der auf die Küste
zuziehenden Tiefdruckgebiete erreichen wird. Vertrauen in Schiff und Crew
sind dabei nur ein Teil, der andere gilt zweifelsohne dem Respekt, sich den
Dingen zu fügen, die wir nicht beeinflussen können.
Nun mag sich das Christentum, losgelöst, ob es nun dem Franz aus Buenos Aires oder dem Martin mit seinen Thesen aus Wittenberg folgt, für sich in Anspruch nehmen, dass diese Demut Bestandteil der christlichen Lehre sei. Das sei ihnen beiden zugestanden, wenngleich auch der Gedanke erlaubt sei, dass der Handel mit der Demut von den einen auch gerne zum Handel mit der Angst um Gottes Zorn verbunden mit Ablasszahlungen zur Finanzierung der eigenen
Fürsorge genutzt wurde. Ausreichend war und ist interessanter Weise der
Verweis auf den besonderen Schutz für eben diese Christen vor den
unberechenbaren Gefahren und zur Reinigung von (Kuchen-)Sünden. Ein für
Segler allemal interessantes Modell.
Mit dem Autreten vom Martin hatte zwar diese Form finanzierter Demut einen
vermeintlichen Dämpfer erlitten. Es kam nun für uns Segler gleichsam als
Wettbewerbsveranstaltung ein zweiter Anbieter für das Christliche in der
Seefahrt auf dem Markt. Ablass und Fegefeuer waren für die Anhänger von
Marin nicht mehr so wichtig. Wichtig war nun die zu lindernde Not des
Nächsten und diese Not der neue Anlass, in Demut vor dem Schicksale mit
Allmosen an die Bedürftigen seinem Gewissen Luft zu schaffen. Die Begründung
für die Hergabe dieser finanzieller Mittel unterschied sich allerdings nicht
wirklich von dem Alternativmodell. Sie sollten erstens den gleichen Richter
wie beim Wettbewerb milde stimmen und zweitens die eigene Organisation für
ihre christlichen Zwecke finanzieren. Für Jules Muffins besteht allerdings
kein Zweifel, sie waren ein warer Akt der Nächstenliebe.
Also auf See helfen beide Formen christlicher Seefahrt gleichermaßen. Die
Demut bleibt und der Kuchen auch, ob nun mit Franz oder mit Martin.
Was nun den Kuchen am Donnerstag angeht, bleibt mir allerdings noch der
Verweis - wenngleich ohne wissenschaftlichen Hintergrund allein aus der
Erinnerung an die Herkunft des Wortes - auf die Verehrung des donnernden
Gottes Thor/Donar aus der Welt germanischen und damit aus Sicht der beiden
oben genannten Richtungen heidnischen Glaubensrichtung. Aus weltlicher Sicht
kein zusätzlicher Wettbewerber, aber im Hinblick auf die christliche
Seefahrt - ähnlich wie der Weihnachtsbaum - ein in eigener Sache schlicht
mit übernommener Brauch, den christlichen Sonntag einfach durch einen
zweiten Tag, nämlich den Donnerstag, als Feiertag zu bereichern. Eine
Begebenheit, die sich nicht nur hier, sondern auch zur Einsetzung des
Abendmahles am Gründonnerstag oder zu Christi Himmelfahrt wiederfindet. Ein
Thor, der Böses dabei denkt, wenn das Dilemma auf diese Weise ganz einfach
aufgelöst ist. Heidnische Tradition und christlicher Glaube in trauter
Einigkeit bei Jules Muffins.
Für die Segler der Haspa macht dies alles keinen Unterschied. Kuchen gab´s,
egal woher der Brauch kommt, denn man muß die Feste feiern, wie sie fallen
ob christilich oder nicht. Derweil blicken wir wieder auf unseren
Wetterbericht und die vor uns liegenden nächsten 2.000 Meilen.
Eure Atlantik-Crew.