Die letzten Stunden auf See und die ersten Stunden an Land
Der letzte Abend auf dem Südatlantik war ein würdiger Abschluss des Rennens - Surfs bis 20 Knoten bei perfektem Wind für den A3, Sonnenuntergang, angenehmes, schnelles Sunny Sailing eben. Dabei hätte es von unserer Seite bleiben können - aber es kam noch die Nacht. Ein Protokoll:
Richtung und Abstand zum Zielpunkt sind auf einigen Displays präsent, Richtung konstant, Abstand brav abnehmend, bis es etwas zu spitz wird für den A3 - also schnell Jibtop hoch, ausfurlen, Staysail bleibt stehen, alles läuft problemlos routiniert. Ein Knoten weniger Boatspeed, surfen geht aber auch so, easy.
Bis der Druck nachlässt und ein kleiner Rückdreher einsetzt. Erstmal Staysail weg, damit das große Vorsegel ungestört Luft bekommt, Zähne knirschen, einfurlen, Jibtop runter, doch wieder A3. Hier zahlt sich die starke Packmentalität unter Deck aus, offenes Tuch verschwindet schnell im Sack, um wieder gesetzt werden zu können.
Ein weiterer Rückdreher, noch weniger Druck, wir wechseln in den VMG-Modus: Velocity Made Good, es geht nun um maximale Geschindigkeit in Windrichtung, nicht mehr zum Ziel ("kreuzen vor dem Wind"). Dafür brauchen wir den A2. Etwa 270 Quadratmeter schweres Tuch werden unter Deck geworfen, 270 Quadratmeter leichteres Tuch mit anderem Schnitt aus der Tasche ins Rigg gezogen. Um auf Nummer sicher zu gehen, peelen wir nachts und bei der Welle mit Leichtwind nicht, statistisch ist das hoffentlich schneller.
NOCH weniger Druck. Der A2 steht nicht mehr richtig und schlägt, nur durch anluven halten wir noch Fahrt im Schiff. Ein Fall für den Code Zero - er ist eingentlich für spitzere Kurse gedacht als wir fahren wollen, bleibt aber wenigstens stehen. Unter Deck wurde heute gefühlt ein Hektar Tuch gepackt, aber egal. Das Ziel wandert weit nach Lee aus - und wir parken. Zwanzig Meilen vorher. Abends wären das eineinhalb Stunden gewesen, verdammt. Wir halsen raus, fahren weg vom Ziel - auf den Wangen ist wieder ein leichter Hauch zu spüren.
Die Freiwache, die für die letzten Meter wach blieb, legt sich doch wieder schlafen - um zwei Stunden später an fast der selben Stelle wieder anzutreten. Der Code bewegt uns mit 1-3 Knoten durchs Wasser, ETA also in 7-20 Stunden. Das kann doch nicht sein... Früher haben wir in der Zeit mehr als das Zehnfache gerissen!
Cabo Frio hat ein Einsehen und wir stehen nach "nur" vier Stunden Schleichfahrt vor der Ziellinie zwischen zwei Inseln. Bijan und Thore achtern (steuern/trimmen), der Rest liegt wie ein Rudel Seehunde auf dem Vorschiff, um das pralle Hinterteil unserer Haspa aus dem Wasser zu heben, heute bremst das nämlich. Wir werden zum Sonnenaufgang von Regattaleitung und einem Fotographen auf einem Schlauchboot empfangen, die für eine weitere halbe Stunde etwas ratlos um uns kreisen.
Schließlich ist es soweit. Mit dem Funkspruch "Haspa Hamburg, you won line honors of Cape2Rio2020" startet unsere vorher akkurat abgesprochene Choreographie: Flaggen hoch, Musik an und für jeden das eine, mitgebrachte Kaltgetränk an Deck. Wir dürfen endlich einkuppeln und fahren durch eine faszinierende Kulisse auf den berühmten Cristo Redentor zu - wir nennen ihn heimatverbunden auch "Michel".
Nach einem kurzen Fotoshooting vor der Kulisse mit A2 (wieder packen...) wird am Jate Club Rio de Janeiro angelegt und wir wagen uns an Land - fühlt sich an wie auf einem wackeligen Schwimmsteg. Die Gastronomie wird genutzt, keiner denkt an Arbeit, jeder genießt dieses unglaubliche Gefühl, es geschafft zu haben. 100% Freude über eine gesunde, fast schadenfreie Überfahrt plus 50% Extra für dieses geile Ergebnis!
Berechnet bleibt es natürlich spannend. Mussolo40 parkt zwar auch, aber wir haben vor den beiden Jungs dermaßen Respekt, dass wir ihnen einen schnellen Endspurt wünschen. Wir gesegelt, die anderen berechnet, dazu mehrere Gruppen - bei keinem anderen Sport kann es gleichzeitig so viele Gewinner geben und irgendwie ist das ja auch schön. Wie in einem Kinderkarussell, wo es auf jedem Platz ein Lenkrad gibt. Stolz wie Bolle sind wir trotzdem.
Seitdem genießen wir die Infrastruktur an Land, klaren das Schiff auf und begrüßen nach und nach die weiteren Ankömmlinge, von denen jeder die selbe Freude und viele spannende Geschichten mitbringt.
Vielen Dank für Euer Feedback die letzten Wochen, wir haben uns über jede Mail von Land gefreut!
Sonnige Grüße,
Eure Cape2Rio-Crew