Our New Baby
Für eine Segelcrew ist es das vollkommene Glück, zum ersten Mal sein neues Boot zu Gesicht zu bekommen. Ähnlich dem frisch gebackene Vater, dem von der Hebamme sein Neugeborenes in den Arm gelegt wird. Mit diesem Gefühl beschreitet die erste SeaTrial Crew der nagelneuen Haspa Hamburg stolz den seglerischen Kreißsaal in Wellington/ Neu Seeland vor den Toren von „Hakes Marine“. An Deck erwarten sie Werftchef Paul Hakes, Projektleiter Henning Rocholl, nebst Johan, dem zukünftigen Inspektor, und einer Schaar Bootsbauer, die noch eifrig das Boot auf Hochglanz polieren. Zögerlich wird das neue Baby erklommen und jedes Detail kritisch in Augenschein genommen. Ist wirklich alles dran? Mast- steht, Segel- da, Kiel- sollte drunter sein, Nase- sieht ein wenig wie der Rüssel eines Ferkels- aber dran. Schnittig sieht sie aus, in tiefem Rot, mit 1 Meter langen Bugspriet und einen sehr weit ausladendem Heck von gut 4,80 Meter Breite. Das weisse Deck mit einem flachen Aufbau und schlanken Fensterbänder wirkt sehr agil. Der Kohlefasermast -satte 27 Meter lang- wird noch von einem 1,4 m hohen Instrumentenmast gekrönt. Das breite Cockpit mit Grinder bietet Platz sowohl zum Durchdrehen, als auch zum Walzer tanzen. Unter Deck zeigt sich puristisches, modernes Design. Es gibt nur eine Türe zur Nasszelle, der Rest ist weit und offen. Alle Ablageflächen sind in Kohlefaseroptik. Zum Schlafen dienen vorwiegend Rohrkojen- zehn Stück an der Zahl. Die Navi ist achtern hinter dem Motor versteckt. Der Navigator kommuniziert durch ein Luk direkt mit dem Steuermann. Im Falle fehlerhafter Information kann so der Steuermann seinen Navigator direkt am Schopf packen und durch selbige Öffnung zum Personalgespräch ans Tageslicht befördern.
Die Technik sollte schlicht und bedienerfreundlich sein, die Schnittstellen minimal. So gibt es quasi nur einen Schalter in Form eines High-End Bedienpanels für alles- Licht, Pumpen, Sensoren, einfach alles über einen Display. Der ganze Spass ist CAN-Bus gesteuert, was in Autos schon lange state-of-the-art ist, auf Sportbooten dennoch eher die Ausnahme. Wer folglich nachts ganz eilig auf Toilette muss und nicht mit der Bedienung vertraut ist, thront im Dunkeln. Die technische Ausstattung lässt bei genauer Betrachtung keine Wünsche offen. Unter jedem Deckel verbirgt sich irgendein technisches Feature- vom Wassermacher über diverseste elektronische Schaltboxen, bis zur zentralen Lenzeinheit, von der aus der gesamte Rumpf innerhalb kürzester Zeit trocken gelegt werden kann. Hätte die Titanic damals über so ein System verfügt, die Katastrophe wäre sicher zu verhindern gewesen.
Die offizielle Übergabe der Haspa Hamburg an den Hamburgischen Verein Seefahrt wird auf See stattfinden. Paul Hakes startet die 75 Yanmar Pferde zu der letzten Fahrt unter seiner Verantwortung. Endlich geht es los. Wird unser Baby Stand halten und -viel wichtiger- wird es schnell sein? Die Dimensionen scheinen auf Grund der breiten Bauform gewaltig für 52 Fuss. Paul steuert in den Wind zum Grosssegel setzen. Square Top heisst das Geheimnis zu gefährlich viel Segelfläche- was für ein beeindruckend grosses Laken. Dazu doppelte Backstagen -die Runner- mit Checkstays, gut gefeilte Wanten, keine überlappenden Vorsegel. Man gibt übrigens ab sofort englische Kommandos an Bord- zum Training, zur reibungslosen Kommunikation mit den Kiwis und zum Angeben zu Hause. Poseidon meint es an diesem Tage gut mit uns. Während es in Windy Wellington ständig mit 30-40 Knoten Wind ballert, wehen heute entspannte 12 Knoten. Also fix das Vorsegel gesetzt und los geht es unter Neuseelands Sonne. Selbige brennt übrigens gnadenlos und wer sich bis dato noch nicht eingecremt hatte, sollte sich auf einen sportlichen Sonnenbrand einstellen. Die Kiwis schmieren sich -völlig uneitel- mit weisser Zinkcreme ein, was einer Kriegsbemalung gleicht. Das Baby springt gut und spontan auf 8,5 Knoten am Wind und liegt satt im Ruder. Der erste Downwinder lässt nicht lange auf sich warten. Gennaker angeschlagen und auf Kommando „hoist Kite“ wird ein überdimensionaler Haspa Schriftzug auf weissem Tuch in den Himmel gezogen.
Nervenaufreibende Spihalsen, die den Skipper mehr Energie kosten, als drei Joggingrunden um die Alster, gehören Gott sein Dank der Vergangenheit an. Es gibt von heute an nur noch asymmetrische Gennacker die über den Bugspriet gefahren werden; ohne Spibaum oder doppelte Schotführung. Unterstützt wird die Konstruktion durch eine gut durchdachte Bergesystematik. Als das Boot auf dem Reachgang beschleunigt werden die Vorteile des enorm breiten Hecks schnell deutlich. Das relativ grosse Ruderblatt gewährleistet eine gute Kontrolle auf bei kritischen Situationen.
Henning Rocholl setzt seinen förmlich-feierlichen Gesichtsausdruck auf und bittet die Schlüsselpersonen zur Besiegelung der Bootsübergabe in den Salon. Zurück an Deck wird in feierlicher Weise die Flagge am Heck gegen die deutsche Nationale ausgetauscht. Damit dieser Akt allen Anwesenden noch lange in Erinnerung bleiben mag, ehrt Henning jeden Einzelnen mit einer Haspa Hamburg Medaille. Die Stimmung steigt auf olympisches Niveau, einzig auf das Spielen der Nationalhymne bleibt aus.
Martin Röhrig