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Zwischen Gewitter, Wind und Flaute – das Baltic Sea Race 2024

Verfolgt das Baltic Sea Race 2024 auf der Haspa Hamburg durch Tagebucheinträge aus der Perspektive eines dreizehnten Crew-Mitglieds.

---Freitag, 26. Juli 2024, Marina Bay Helsinki – 2200---

 

Der Duft des vorgekochten Risottos liegt noch leicht in der Luft, während ich die letzten Sachen in meiner Nummerntasche verstaue. Der süße Geruch nach Wein steht fast schon im Kontrast zur Anspannung, die an Bord herrscht. Anspannung klingt vielleicht etwas negativ, jedoch hängt einfach jeder seinen Gedanken nach. Zum einen freuen sich alle auf das anstehende 600 Meilen Rennen um Gotland, aber auf der anderen Seite wissen wir seit der Navi Besprechung auch, was vor uns liegt. Die ersten 24h werden wir leichte bis mittlere Winde gegen an erwarten. Im Laufe der Sonntagnacht soll dann der Wind immer weiter zunehmen, 20-30kn aus Nord-West mit einer Welle bis zu 3m.

Ich bin gespannt, aber gleichzeitig auch voller Vorfreude, was wir alles erleben werden! Ich bin bereit, wir sind bereit!

 

//Hätte die Crew da nur schon gewusst, was 24h später auf sie zukommen wird…//

 

 

---Samstag, 27. Juli 2024, Marina Bay Helsinki - 0730---

 

Der Wecker klingelt viel zu früh. Wenn ich in die Runde schaue, sehe ich den anderen an, dass es ihnen wie mir geht: sie haben auch unruhig geschlafen. Doch jetzt hilft maulen auch nichts. Die letzte Dusche genießen, ab ans Frühstück, Kaffee machen und dann geht’s auch schon los!

 

PS: Habe ich eigentlich schon erzählt, dass wir uns für den Team-Spirit alle den Mittelfinger im Haspa Rot lackiert haben? (Jaa, auch die Jungs!) Was für eine Crew, hehe.

 

 

---Samstag, 27. Juli 2024, Marina Bay Helsinki - 1030---

 

Ein letzter Sprint zum Klo. Jetzt muss es aber schnell gehen. Ein kleiner Blick nach links und rechts zeigt mir, dass die anderen Crews um uns herum auch schon startklar sind. Wie kann es eigentlich sein, dass Profisegler immer so ernst, aber auch gleichzeitig so tiefen entspannt aussehen?

Naja, nun aber: „Leinen los!“

 

 

---Samstag, 27. Juli 2024, Archipelago von Helsinki – 1200---

 

„Tuuuuut“, endlich geht es los. Die Vorstartphase für die kleinen Boote beginnt. Während wir vorne auf dem Vorschiff noch rumscherzen, merkt man wie die Spannung auf dem Achterdeck steigt. Unsere Skipperin Cosi steht souverän mit ernstem Blick am Steuer. Doch ich weiß, dass es in ihr ganz anders aussieht. Zwischen Verantwortung übernehmen, aber auch abgeben, stehen die Nerven blank. Doch Laurids unser Navigator und Konstantin als Taktiker geben Cosi eine gute Grundlage zum Starten. Es ist ihre erste Regatta als Skipperin und ich finde sie schlägt sich wirklich gut!

 

//Der Start lief gut für die junge Crew und während die Haspa in den sonnigen Nachmittag hineinsegelt, pest der Volvo dem Feld davon.//

 

 

---Samstag, 27. Juli 2024, irgendwo auf der Ostsee; Höhe Hanko – 1600---

 

Endlich kehrt etwas Ruhe ein. Das euphorische „Hike Girls“ von unserem Großschot-Trimmer Fredi hängt uns allen mittlerweile echt zum Hals raus. Doch zum Glück heißt es um 1600: Ab ins Wachsystem!

 

 

//So kehrt an Bord der Haspa langsam Ruhe ein. Die Anspannung des Starts legt sich und somit auch die erste Wache in die Koje.//

 

 

---Samstag, 27. Juli 2024, irgendwo auf der Ostsee, etwas südwestlicher als vorher – 2200---

 

Ich wache auf durch ein sanftes Rütteln an meiner Schulter und den euphorischen Worten von Caro: „Es ist Wachwechsel, draußen erwarten euch 8kn Wind und ein ganz fantastischer Sonnenuntergang!“. Besser kann man doch gar nicht aus seiner ersten Freiwache geweckt werden!

Doch während die Sonne hinterm Horizont verschwindet, wird es für nordische Verhältnisse am Horizont etwas zu dunkel. Gesine und Line prognostizieren: „Ach was, das ist nur die Nacht!“. Doch irgendwie habe ich kein gutes Gefühl.

 

---10min später

„Da war gerade ein Blitz“ ruft Merle laut vom Steuer. Doch sie hatte in den vergangenen Tagen immer wieder Regen und Gewitter vorhergesagt und nichts kam. Als ich also in die Blicke der anderen sehe, wird mir klar, dass auch sie Merles Ausruf nicht ernst nehmen.

Tja, doch wer zuletzt lacht, lacht am lautesten. Denn leider behielt Merle recht und die dunklen Wolken wurden immer größer. Als nicht nur ich, sondern auch andere Crewmitglieder die Blitze am Himmeln sehen, ist klar: Es ist ein Gewitter.

Ich merke, wie sich in mir etwas zusammenzieht. Klar hatte ich schon mal Gewitterwolken auf dem Wasser gesehen. Aber wirklich in einem gewesen, war ich noch nie. In meinen Gedanken versuche ich mich vorzubereiten. Doch worauf kam es nochmal an? Worauf muss man achten?

Während wir die Fenster schließen und unser Ölzeug anziehen, versuchen wir Ruhe zu bewahren. Plötzlich kommt Adrian unserem Mast man in den Kopf: „Der (Max) Gärtner sagt immer, dass man die Funke bei Gewitter in den Ofen hauen soll. Damit im Zweifelsfall, wenn alles tot ist, wir den Kontakt zur Außenwelt nicht verlieren.“ Klingt irgendwie komisch, aber wenn man keine Ahnung hat, macht man sowas halt einfach.

 

Ich kann mich gar nicht genau dran erinnern, wie schnell auf einmal alles ging. Aber plötzlich stehe ich bei 25kn Wind, zwischen zuckenden Blitzen an Deck. Die einen rennen in Windeseile aufs Vorschiff, um die Jib runterzuwuchten, während die anderen gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Ich versuche allen unter die Arme zu greifen, sodass die Jib schnellstmöglich runter kann. Doch schnell bekomme ich mit, dass es zu zweit und bei dem Windwinkel kaum möglich ist, das Vorsegel zu bergen. In Cosis Augen sehe ich die gleichen Zweifel.

 

//Noch ein heller Blitz und nicht einmal eine Sekunde danach schalt ein ohrenbetäubender Donnerschlag über das Deck der Haspa.//

 

„ALL HANDS“ ruft Cosi danach sofort vom Steuer.

 

Dieses leitet Gesine direkt aus dem Pit weiter in den Niedergang rein. Keine Minute später stehen schon die nächsten an Deck. Da sich ein Teil der Off-Wache schon vorher Ölzeug angezogen hatte, kann so das Vorsegel vorne mit vielen Händen geborgen werden.

 

Kurz danach lässt zu unserem Glück nicht nur der Regen, sondern auch das Gewitter ein wenig nach. Die Blitze und Donner werden unregelmäßiger, doch man merkt die Anspannung an Bord noch.

Als die ersten Leute vom Vorschiff kommen, merke ich das bei ein paar der Respekt vor dem Erlebten sehr groß ist. Während ich selbst nicht ganz begreife, was passiert ist, habe ich auf einmal eine aufgelöste Merle neben mir sitzen. Eine Umarmung später, ist vielleicht noch nicht alles vorbei, aber immerhin die ersten Geister vertrieben.

 

 

---Sonntag, 28. Juli 2024, südlich von den Aland Inseln – 1000---

 

Von schlagenden Segeln geweckt zu werden, ist an diesem Morgen auf jeden Fall ein Kontrastprogramm zur gestrigen Nacht. Als ich an Deck komme, ist es ruhig, wir gleiten langsam übers glatte Wasser und lassen das Gewitter Revue passieren. Denn nicht nur unsere nassen Midlayer sind von dem Geschehen gezeichnet, sondern auch wir.

 

//Der Tag streicht langsam über die Haspa und der Wind nimmt zu.//

 

 

---Sonntag, 28. Juli 2024, Almagrundet - 2050---

 

Keine 5min nach dem Wecken, stehe ich schon in Vollzeug bei 20kn Wind auf dem Vorschiff. Almagrundet keine Meile voraus, heißt es: Jib-Top anbauen und alles zum Abfallen vorbereiten.

Nach einem guten Tonnenmanöver beginnen wir unsere Rauschefahrt zur Südspitze Gotlands. Dachten wir zumindest… jedoch ist der Wind die ersten Stunden etwas weniger als angesagt und somit kommen wir leider nicht auf unsere Target Geschwindigkeiten. Meine Stimmung ist etwas gedrückt, da die anderen Boote fast alle Kites ziehen und von hinten immer weiter aufholen.

Da ist klar, es hilft nur eins, um unsere Stimmung wieder zu heben: Juchuuu, wir haben noch vorgekochte Bolognese von unserem Chefkoch (Christoph) Keese. Damit steigt nicht nur die Stimmung, sondern auch der Wind nimmt von Stunde zu Stunde zu. Jetzt sind doch sehr froh, nicht wie die anderen Teams erst einen Kite gezogen zu haben, sondern mit der Jib-Top durch die Nacht zu brettern.

 

 

---Montag, 29. Juli 2024, zwischen Almagrundet und Gotland – 0130---

 

Durch lautes Schreien Geweckt zu werden klingt etwas beunruhigend. Doch wenn man nach dem ersten Schreck hinhört, merkt man schnell, dass es sich doch nur um laute Jubelschreie handelt, da die Wache an Deck immer wieder den vorher aufgestellten Speed Rekord knackt.

Ein Viertelstunde bevor unsere Wache dran ist, sehe ich wie Lasse sich aus seiner Koje schält und sich in den Niedergang stellt. „Was ist denn hier los? Bei dem Geschrei bekommt man ja FOMO!“ (Fear of Missing Out). Von oben kriegt er nur voller Freude zu gerufen „Fritz ist grade 22,1kn gefahren“. Wie soll man denn bitte bei sowas schlafen???

 

//Die HASPA pest immer weiter in die Morgenstunden und aus der Ferne hört man nur das Gejubel und Gekreische der Crew. Die Großschot glüht und die Arme der Crew auch. Kaum war der nächste Tag angebrochen war auch schon die Südspitze Gotlands in Sicht.//

 

 

---Montag, 29. Juli 2024, Süd-Spitze Gotland – 07:30---

 

Alle sind völlig durchgeknallt vor guter Laune, sodass unserer Navigator Laurids uns mit einem leicht strengen Unterton ermahnt: „Ruhe jetzt bitte! Der Konsti muss sich konzentrieren. Es geht jetzt durch die Enge und wir MÜSSEN auf den Grad genau steuern, um keine Patent-Halse zu fahren. Fredi und Line, das heißt auch: keine Fotos und Videos! VOLLE KONZENTRATION, bitte.“

Nach einer aufregender, aber sauber im Surf gefahrenen Halse, ging es dann wieder hoch ran und endlich hieß es: Auf zurück nach Helsinki! Doch die gute Stimmung wurde nochmal etwas angespannter. Während ich am Groß saß, standen auf einmal 33,4kn auf der Windmessanlage. Es war klar, wenn der Wind nicht nachlässt, werden die nächsten 24h nochmal sehr hart.

 

//Von Wache zu Wache wurden die Wellen größer, obwohl der Wind sich bei 25kn einpendelte. Die Haspa stampft mit 10kn durch die Ostsee und man sieht der Crew an, dass sie nicht nur mit den Wellen, sondern auch mit sich selbst zu kämpfen hat.//

 

 

---Montag, 29. Juli 2024, Ostküste von Gotland im Rücken, 1500---

 

Als ich mich nach meinem Wachwechsel auf die Kante setze, um meinen Bauch nach dem wackeligen Umziehen unter Deck etwas zu entspannen, sehe ich, dass es neben mir schon zu spät ist. Der Mund wird einmal kräftig zusammengenkiffen, dann schnell abseilen nach Lee und danach heißt es: Fische füttern! Na, lecker…

 

 

---Dienstag, 30. Juli 2024, zwischen Gotland und der Spitze Estlands, 0320---

 

Hellwach liege ich in meiner Koje. Oben jubelt niemand mehr. Und selbst wenn jemand jubeln würde, man würde es unter Deck bei dem Krach nicht hören. Die Haspa stöhnt in jeder Welle und das Knarzen des Kickers bereitet meinem feinen Gehör sorgen.

Eine Stunde später wünsche ich mich nur noch zurück in die Koje. Es ist kalt und jede zweite Welle bricht über das Deck der Haspa. Ich bin neidisch auf alle, die eine dichte Öljacke haben.

 

 

---Dienstag, 30. Juli 2024, Spitze von Estland, 1410---

 

Der Tag neigt sich langsam Richtung Mittag und wenn man aufs Meer schaut, kann man kaum glauben, dass es nicht mal vor 10 Std. 28kn Wind und 3m Welle hatte. Das Meer ist Spiegel glatt und wir sind genervt das 2h lang nur 6kn Wind auf der Anzeige steht und die Haspa einfach nicht losfahren will. In Luv von uns fährt die Nola (eine MAT 12.20) mit 10kn lang und wir warten nur das der Wind auch bei uns einsetzt.

 

---20min später

Juchuh! Endlich ist der Wind da. Wir fahren wieder mit 7kn und Helsinki kommt näher. Jetzt heißt es wieder: All Hands (diesmal aber geplant und ohne den Stress der ersten Nacht…).

 

 

---Dienstag, 30. Juli 2024, Leuchtturm von Helsinki, 1800---

Ich kanns kaum glauben, aber ich höre es aus Caros Mund genau: „Letzte Große Bahnmarkeee, whoop!“. Danach geht alles ganz schnell. Der Wind erfüllt uns noch einen letzten Wunsch und nimmt zu auf 20kn. So düsen wir der Nola (eine MAT 12.20) mit 10kn Bootsspeed davon.

 

 

---Dienstag, 30. Juli 2024, Archipelago von Helsinki, 2030---

 

Zwei letzte Wende und dann ist es geschafft. Von hinten höre ich nur das Jubeln von Laurids und Cosima. Hä, Moment. Sind wir schon drüber? Das wars jetzt? Team Vorschiff hat mal wieder nichts mitbekommen. Egal, jetzt wird gefeiert! Wir liegen uns jubelnd in den Armen, während der Fotograf den Moment festhält.

 

Im Hafen erwarten uns jubelnd die anderen 5 Schiffe und nehmen uns in Empfang. Was für ein Rennen! Kaum sind die Leinen fest, kommen wir als Crew der wichtigsten Tradition nach: Cosi wird für ihre erste Regatta als Skipperin ins Hafenbecken geworfen und mit ihr die Schiffsführung gleich hinterher.

 

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Was für ein anspruchsvolles und interessantes Rennen. Mit schwierigen Situationen aber auch vieler guter Laune und viel zu schlechten Witzen.

Eins ist klar: Wir bleiben dem RORC und dem Baltic Sea Race vielleicht nicht als Siegerboot im Kopf, aber dafür als eine Jugendcrew, die alles gegeben hat, immer einen guten Spruch auf Lager hatte und die Stimmung im Hafen lebendig gehalten hat.

 

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Danke an den HVS, dass er uns als Crew die Möglichkeit gibt, solche Erfahrungen sammeln zu können. Mit einem Durchschnittsalter von 23,3 Jahren gehört gewiss auch ein kleiner Vertrauensvorschuss dazu, für den wir auch sehr dankbar sind.

 

Wir sind gespannt, was alles noch kommen wird!

Viele Grüße aus Helsinki

 

Cosi, Konsti, Laurids, Adrian, Christoph, Fredi, Fritz, Lasse, Gesine, Caro, Line und Merle