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Mit der HASPA über die Biskaya: „Zwei-Drei-Null“ und Ingwer-Zitrone Tee, ja?

Die HASPA hängt in Cherbourg fest. Wir haben Züge und Flüge umgebucht und steigen in der Normandie an Bord. Das Schiff muss nach Portugal, aber die Reparaturen werden noch ein paar Tage dauern. Schaffen wir es im einzigen Wetterfenster der nächsten zwei Wochen aufzubrechen oder erwischt uns ein großes Tiefdruckgebiet?

„Ahhh warte, warte ich glaub ich muss Kotzen. Gib schnell Pütz, ja! Ah ne doch nicht. Ok, Bordbericht kann anfangen:“

 

 

„Ich bin endlich auf dem Weg Richtung Süden!“ In Cherbourg haben Carlos und Olivier den Steuerstand neu einlaminiert. Mit etwas Verspätung, aber viel Wind von hinten brechen wir Richtung Spanien auf. Der A6 auf dem Pole zieht kräftig nach vorne! Es ist 1900 Uhr. Im Sonnenuntergang leuchtet das türkise Wasser orange, rot und gelb. Darauf haben wir fast eine Woche in der verregneten Normandie gewartet! Ein Reparaturstop hat uns aufgehalten.

Begleitet werden unsere Surfs von Fridolin und seinen Freunden. Drei Delfine die in unserer Heckwelle mächtig Spaß haben. Wir halsen uns vorbei an den Kanalinseln. Am tief dunkelblauen Himmel, tausende helle Sterne. Die Nacht ist klar. Zwischen Kassiopeia und dem großen Wagen steht der Nordstern. Ein schwacher weißer Punkt, der mittlerweile hinter uns liegt - wir sind in die Biskaya abgebogen.

 

„Zwei-Drei-Null“ – die Worte hören wir für zwei Tage bei jedem Wachwechsel. „Zwei-Drei-Null“. Gemeint ist natürlich der anliegende Kurs Richtung Kap Finisterre. Es geht lange geradeaus, sehr lange. Ein Großteil der Strecke über die Biskaya ist ein spitzer Reaching Kurs – irgendwas zwischen 70 und 100 Grad. Wir sind schnell unterwegs – immer über 10kts. Die Wellen werden größer und länger. Am zweiten Abend glitzern immer mehr Schaumkronen im untergehenden Sonnenlicht. Der Wind hat merklich aufgefrischt. Wir ziehen das erste, dann das zweite Reff ein. Jetzt ist es fast stockduster. Kein Mond, vor die Sterne haben sich die ersten Wolken der herbeiziehenden Front gelegt. Nur auf dem Vorschiff sieht man in der Gischt zwei rote Kopflampen blitzen. Zwei dunkle Gestalten, die das Vorsegel wechseln. Wir gehen von der Genua 3 direkt auf unsere kleinste Fock. Die Kräfte müssen gespart werden; über zwei drittel der Strecke liegen noch vor uns.

 

Wir haben ein enges Wetterfenster in dem wir nach Spanien kommen müssen. In drei Tagen soll ein Ex-Hurricane Europa erreichen. Auf den Wetterkarten kann man das Ungetüm schon gut beobachten. Über 60kts Wind Speed in der Spitze – da wollen wir alle im sicheren Hafen liegen. Oberste Priorität ist das Boot heile Richtung Lanzarote zu bringen. Für das Transat im Januar und die anstehende Karibikreise darf nichts mehr kaputt gehen. Das wäre bitter für alle!

 

So geht es also in die zweite Nacht. Es ist noch nicht ganz kalt. Trotzdem peitscht der Wind durch die Gesichter. Eng zusammengekuschelt sitzen wir um den Steuerstand und teilen uns einen heißen Ingwer-Zitrone Tee. An der Großschot und am Steuerrad wird fleißig durchrotiert. Das Kurbeln macht warm und die Beschäftigung lenkt von der Seekrankheit ab.

Mit dem konservativen Setup lässt sich die HASPA wunderbar segeln - die Wellen hoch und runter. Die Täler sind lang und tief; mittlerweile über 3 Meter. Immer wieder landet leuchtende Gischt im Unterliek der Jib. Die kleinen Mikroorganismen, die auch unser Kielwasser aufhellen sind überall. Es glitzert hellblau und grün.

Unter Deck pfeift der Wasserkocher. Der nächste Ingwer Tee mit ein bisschen Zitrone, ja.

 

Zweite Nacht kurz vor 0300 Uhr: Weit und breit ist kein Licht am Horizont zu sehen. Zuletzt passierte uns ein Frachter ein paar Meilen an Steuerbord. Ein schwaches weiß, was durch den Nieselregen schimmerte. Das war vor ein paar Stunden. Ewigkeiten her. Die Nächte sind lang um diese Jahreszeit und die Biskaya wie leergefegt. Kein Segler – Nichts.

Die Sonne geht erst wieder kurz vor 0800 Uhr auf; ein warmes Orange. Kalt bleibt es in diesen Stunden trotzdem. Es ist fast kühler als in der Nacht. Es gibt aber einen Luxus auf dieser Tour, den man sich auf Regatten sonst nicht gönnt: Ein ausgiebiges Frühstück auf See. Das Wasser kocht wieder. Aus dem Niedergag riecht es nach Kaffee. Um den Grinder liegt ein Müslibuffet mit frischem Obst. Zuerst die Milch dann Crunchy, Haferflocken und Leinsamen, sonst fegt der Wind alles wieder aus der Schüssel. Immer noch 25kts True Wind Speed. Wir schneiden durch die Wellen. Der Wind hat uns auf den Bug gedreht. Trotzdem bleiben wir schnell. 35 Stunden noch bis Vigo.

 

Im Laufe des Tages nimmt der Wind ein bisschen ab. Wir haben unter 20kts und reffen aus. Das Vorsegel wechseln wir aber nicht. Die Crew ist angeschlagen. Unserem Speed schadet das nur wenig. Die einzigen Stimmungsdämpfer sind die Regenschauer, die der Front hinterher ziehen. Schneller nach vorne, schneller durch die Regenwolken, schneller dem guten spanischen Wetter entgegen – hofften wir. Über den Tag wird der Nudelsalat vom Vortag gesnackt. Zwei große Töpfe gab es und es ist immer noch jede Menge da. Man muss ein bisschen mit der Gabel auf dem Boden stochern, um einzelne Oliven, getrocknete Tomaten und Rucula zu greifen.

 

Die dritte Nacht wird fast wie die vorherige - nass und kalt.

Sie beginnt mit dem Reffen des Großsegels. Der Wind frischt auf. Diesmal ist der Verkehr um uns herum intensiver. Fähren und Frachtschiffe, die uns entgegenkommen. Fischer treiben sich bei der ruppigen See keine hier draußen rum. Nach dieser Front soll der Wind weiterdrehen. Eine Wende irgendwann in 6 oder 7 Stunden morgen früh. Das einzige Manöver auf über 370 Meilen. Noch aber kommt der Wind konstant aus einer Richtung und wir können weiter direkt aufs Kap fahren. „Zwei-Drei-Null“.

Im Morgengrauen setzen wir die Spanische Gastlandsflagge. Es darf gejubelt werden über diesen kleinen Meilenstein. Die Laune an Deck ist gut. Die Vorfreude auf ein Glas fruchtig, süßen Sangria noch heute Abend ist groß! Der Wegpunkt am Kap Finisterre ist erreicht. Trotzdem wenden wir nochmal raus, um einen Holeschlag 6 Meilen Richtung VTG zu machen. Ein kleiner Umweg. Wir wollen auf die 1000 Meter Tiefenlinie kommen; den Orcas ausweichen! Die Gefahr angegriffen zu werden ist unter Land ist grösser. Also schlängeln wir uns entlang des VTGs die übrigen 75 Meilen Richtung Ziel.

Die Sicht ist wieder gut – zum Glück. Immer wieder wird das Fernglas herausgefordert. „Ist das dunkle dahinten in der Welle eine Rückenflosse? Warte, warte, die ist größer als sonst oder?“ Die Aufregung steigt ein bisschen. Hektisch wird es aber nicht. Das Lazarett mit dem Ruderquadranten ist mit Blindstopfen abgedichtet. Und die schwarzen Flossen entfernen sich wieder.

Zu unserer Überraschung bleibt der Wind konstant über 10kts und die Einfahrt in die Ría de Vigo nähert sich stündlich. Die Stadt liegt geschützt im Süden der Bucht knapp 9 Meilen hinter den schroffen vorgelagerten Inseln an der Mündung.

 

Dritter Tag 1630 Uhr: Wie eine Fata Morgana schweben diese Felsen zwischen grauem Himmel und Meer am Horizont. Die mächtigen Wellen zerschellen an den Steinen. Meter hoch schießt die Gischt in die tiefhängenden Wolken. „Land in Sicht!“

Wir kreuzen durch eine schmale Fahrrinne zwischen spitzen Felsen und Fischernetzen, die nur an alten vergilbten Auftriebskörpern hängen - in den Wellen kaum zu erkennen. Backbord sticht ein weißer Leuchturm durch die Wolken – unübersehbar. Jetzt nur noch in die Bucht abfallen. Links und Rechts hohe tief grüne Hügel überzogen mit Tannenwäldern. Die Einfahrt wirkt mehr wie eine tropische Flussmündung, als das heiß ersehnte Spanien.

 

Zum Großsegel bergen vor dem Stadthafen geht die Sonne unter. Das Goldgelb der Laternen und Lichter von Vigo leuchtet vor dem Bug. Wir legen uns längsseits an einen Schwimmsteg. Dann stapfen 11 Segler in nass triefendem, verschwitztem Ölzeug Richtung Hafenkontor - alle ein Bierchen in der Hand auf der Suche nach den Toilettenanlagen und einer warmen Dusche.

 

 

Das Einlaufen in Vigo ist mittlerweile schon fast eine Woche her. Wir sitzen auf einem grünen Spielplatz mitten auf dem Dach des Fernbusbahnhofs in Porto. Die Crew stürzt sich auf die Schaukelpferde und Klettergerüste. Zwei sitzen auf der Wippe. In der Hand noch warme Pastel de Natas. Eine portugiesische Spezialität. Süße mit Pudding gefüllte Blätterteig Pasteten, die es an fast jeder Ecke gibt, wie in Hamburg die Franzbrötchen.

Wir warten auf unseren FlixBus nach Lissabon. Die Haspa haben wir ohne Schäden und sicher nach Porto gebracht. Mehr gab das kurze Wetterfenster nicht her. Auch die 75nm von Vigo mussten wir Motoren. Nach dem großen Sturm war kein Wind mehr für uns übrig.