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Scilly little thing!

Von Grindwalen und Paahufern in der keltischen See

Sail Away

Scilly little thing

Je näher wir den britischen Hoheitsgewässern kommen, desto weniger Grau kommt der Atlantik daher. Zeit für einen Check des Riggs und laufenden Guts, also ab in den Mast. Der entsandte Emporkömmling genießt auch gleich einige Minuten die seltene Ruhe im dritten OG unserer Offshore Entity und die sich ihm bietende Weitsicht. Endlich ganz oben angekommen, denkt er, bevor die Kollegen vom Arbeitsdeck seine Fallen auch schon wieder abfieren und unseren Klettermax somit wenig subtil wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Der Riggcheck ergibt keine Auffälligkeiten, bis auf vielleicht die von oben auffällig grazil und sportlich anmutenden Linien des Schiffsrumpfes und seiner Besatzung, und so segeln wir weiter unter Spi und steigendem Speed gen Lizard Point, unserem nächsten Wegepunkt. Ein paar Wale (Grindwale, laut unseren wandelnden Handbüchern der Sielmannschaft), jagen hinter uns her, und wir hoffen, dass sie nicht zum Kuscheln mit Bruder BroVi kommen. In unseren lässigen Salopetten signalisieren wir jedoch cool und bestimmt, dass wir nicht zu haben sind, so dass die beiden säugenden Freunde trotz der sportlichen Anmut, die sich ihnen bietet, schnell das Interesse verlieren. Man sieht, auch Wale haben ihren Stolz.

Bei wieder 22° Wassertemperatur darf dann geduscht werden, und einige spülen sich auf dem Achterschiff zum Klang der "Ärzte" live die Strapazen der vergangenen Tage von den seegestählten Körpern. Frisch gewaschen schallt es zum Abendbrot: die Küche läutet den Sommerschlussverkauf ein und reicht ihr legendäres Brot heute mit Tomatenmark, Oliven, selbstgezogenen Sprossen und Caynne-Pfeffer. Alles muss raus! So gestärkt nehmen wir die wohl letzte Nacht auf dem Atlantik in Angriff.

Schon bald brist es auf, der Wind dreht stark nördlich. Für uns Gelegenheit, mal wieder unter Genua 2 in die Nacht zu segeln. 20 Knoten Wind mal nicht von Achtern, wie sich das anfühlt, hatten die meisten schon wieder vergessen. Und Sprühregen, denn wir sind ja bald in England, mal nicht nur zeitweise. Drizzle, sagen die Locals hier. Doch etwas ganz Neues offenbart sich unseren sensiblen Atlantiknasen: 80 Seemeilen südlich von Irland duftet es nach Land. Genau genommen, nach Schaf, besser noch, nach Schafsmist. Mal kurz überlegen: Wenn der Nordwind der keltischen See diesen Duft über 80 Seemeilen bis zu uns an Deck weht, und 10 teils frisch geduschte Männernasen nach 12 Seetagen ihn immer noch riechen können, dann haben wir jetzt eine ungefähre Vorstellung davon, wie es bei den keltischen Paarhufern daheim in der Cork'schen Stallung riechen mag. Kein Wunder also, dass halb Irland die Nacht auf See verbringt: Auf unserem AIS erscheinen haufenweise Fischer, alle Schiffe gefühlt nach brasilianischen Fußballstars benannt (auf so etwas kommt man dann), die wir aber mit über 12 Knoten Fahrt durch die Nacht gekonnt im Riesenslalom umschiffen können. Tatsächlich handelt es sich aber, wie wir später merken, um die Fischfangflotte des Primero-Clans aus Portugal, dessen Patron Raul seine Flotte portugiesischer Galeren durch die Nacht führt.

Bald setzt neuer Drizzle ein, und er bringt mehr Wind. Zeit für große Gefühle: In einem emotionalen Wiedersehen begrüßen wir unter tosendem Beifall die gute alte Genua 3 zurück an Deck, die uns als Segel der ersten Stunde vor knapp zwei Wochen, für Fans also vor einer halben Ewigkeit, so sicher über die Startlinie vor Bermuda gebracht und dieses Abenteuer eingeläutet hat. Und nun das Comeback bei Nacht und Wind in der keltischen See. Das sind die Momente, für die es sich lohnt, ein Vorsegel zu sein. Und sie enttäuscht uns nicht: in sprühender Gischt peitschen wir mit brass Fahrt durch den Sprühregen und wieder einmal pechschwarze Nacht den Scilly Islands entgegen, die dem Englischen Kanal vorgelagert am nächsten Morgen unsere erste Landsichtung markieren werden. In einem magischen Moment erscheint die Morgendämmerung kurz unter einer der nächsten Böenwalzen als "Silver Lining" und weist uns den Weg. I

Am nächsten Tag gegen mittag, also heute, ist es dann soweit: Land in Sicht, die Scilly Islands liegen voraus und kommen mit 12 Seemeilen pro Stunde näher. Beherzt stellen wir die Bordzeit direkt auf Hamburger Zeit um drei Stunden vor, als wir die Inseln gut gelaunt nördlich bei besten Bedingungen passieren. Wir sind ja quasi bald da. Ein britischer Hai wird gesichtet und kurz darauf auch das, was er gejagt hat. Ein vollkommen erschöpfter Seehecht (oder ähnlich, sagen wir Makrele) springt zu seiner vermeintlichen Rettung direkt durchs offene Heck ins Cockpit. Unsere resignierten Angler bekommen also, was sie wollen, richten aber nach schnellem Trophäenfoto für's Ego kurzer Hand über das vermeintlich bessere Schicksal des Gesellen und übergeben ihn wieder den Fluten. Du schaffst das, mein Junge. So rauschen wir an charakteristischen Klippen gepaart mit Highlander-Hochebenen vorbei (von stinkenden Paarhufern übrigens keine Spur), bis kurz nach Passage der Scillys der Vorhang fällt (wie auch Wind und Speed) und das Kapitel Atlantik geschlossen wird.

Pause. Vorhang.

Zweiter Akt: Kanal. Irgendwie mogeln wir uns trotz wenig Wind durch das vor uns liegende Verkehrstrennungsgebiet, was dank einsichtiger, angefunkter Offiziere der auf Kollisionskurs laufenden Frachter gut gelingt, und bei Bier und Risotto mit Allem in der Abendsonne findet uns auch der Wind wieder. Wir runden Lizard Point, jetzt wird es spannend. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob wir es schaffen können unsere Aufholjagd fortzusetzen und eventuell berechnet vor unserer Bratpfanne in Cuxhaven durchs Ziel zu gehen. Wir bleiben dran und melden uns zeitnah mit einem Update. Damit zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.

Eure Broader View Hamburg-Crew

Felix Christiansen