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We are still racing

50. Rolex Fastnet Race

Die letzten Regattavorbereitungen werden am Donnerstag abgeschlossen, sodass die Crew der Störtebeker am Freitag – einen Tag, bevor das Race startet – nach Cowes, zur Startlinie, aufbricht. Ein entspannter Segeltag liegt vor uns, mit bis zu 20 Knoten Halbwind düsen wir durch den Ärmelkanal. Abends kommen wir an, legen uns an eine Mooring vor dem Hafen und nutzen die letzten Stunden Ruhe, um uns gemeinsam auf das zu konzentrieren, was vor uns liegt und ordentlich zu schlafen. Die Spannung wird nochmals erhöht, weil sogar auf der Überführung Baustellen entstanden sind, die vor dem Rennen behoben werden müssen. Dies wird allerdings bewerkstelligt, und am Samstagmorgen gibt es ein gemeinsames Baguette Frühstück im Cockpit. Dabei gibt es ein Briefing von Skipper und Navigator zu dem, was uns in den nächsten Stunden und Tagen erwartet: Kreuz ab Start aus dem Solent bei mindestens 25 Knoten, die nach dem Start schnell zunehmen werden auf 30-35 Knoten. Diese Bedingungen werden 12 Stunden anhalten, bevor der Wind nachlässt. Ab jetzt herrscht volle Konzentration; allen ist klar, dass insbesondere die Startphase nicht einfach wird. Daher folgen wir der Empfehlung aus dem Wetterbriefing des RORC: 12 Stunden überleben und dann pushen und alles geben.

Danach geht’s los: Leinen los von der Mooring, Trysail und Storm Jib up; wir präsentieren die Notfall Segelgarderobe und die gesamte Crew mit Schwimmweste an Deck am Safety Gate. Der Wind nimmt bereits zu und im Solent vor Cowes wird es voller. Am Horizont erscheinen die IMOCAs und Trimarane, die vor uns starten werden.

Um 15 Uhr ist es so weit: Der Kanonenschuss geht los, und mit uns starten knapp 50 Boote in IRC Zero das 50. Rolex Fastnet Race. Wir starten defensiv und kommen am Start gut weg. Alle sind hoch konzentriert auf ihren Positionen; Starttaktiker und Navigator beurteilen kontinuierlich unsere Position im Feld, haben die Boote um uns im Blick und manövrieren uns aus der Enge des Starts durch den Solent. Der Grundwind ist bereits bei über 30 Knoten und der Regen erschwert die Sicht. Bei Hurst Castle wird es nochmal eng: Ein doublehanded Boot sieht uns nicht, und wir müssen trotz Vorfahrt wenden – doch auch das gelingt, und wir sind froh, aus dem Solent raus zu sein und mehr Platz zu haben. Bereits hier hören wir regelmäßig Funksprüche über in Seenot geratene Boote. Die Küstenwache sucht nach einer Rettungsinsel mit Personen. Die Anspannung bei allen an Bord bleibt weiterhin hoch; dennoch sind wir zufrieden, schon so weit gekommen zu sein.

Nachdem wir auch die Needles hinter uns lassen und sich die Frequenz der Wenden verringert, ist etwas Zeit zum Luftholen: Wir starten ins Wachsystem und können essen.

Sechs Stunden nach dem Start ist das Schlimmste bereits überstanden geglaubt und die Crew wird entspannter: Der Wind ist nur in Böen noch über 30 Knoten. Eine Wache schläft unter Deck, die On- und Standby-Wache fahren das Schiff zum ersten der Kaps auf unserem Weg zu Land’s End. Wie aus dem Nichts gibt es einen lauten Knall; ein Ruck geht durchs Schiff – und das Großsegel flattert im Wind. Das zweite Reff, in dem wir bis hierhin gefahren waren, ist gerissen. Alle sitzen einige Sekunden gelähmt an Deck, und starren ungläubig ins Segel. Doch dafür ist keine Zeit. All hands on deck, alle ans Vorliek: Das Segel muss schnell runter. Wir haben immer noch 28 Knoten auf der Uhr. Doch alle knüpfen an die Konzentration der Startphase an und das Groß kann ohne zusätzliche Schäden geborgen werden. Schnell wird das Segel gerollt und mit einer Schot an den Baum gebunden. Geschafft. Durchatmen. Realisieren, was gerade passiert ist. Wie geht es jetzt weiter? Geht es überhaupt weiter? Es wird nichts überstürzt; wir nehmen uns die Zeit, in Ruhe die Optionen abzuwägen. Entscheidung erst am nächsten Tag nach Beurteilung der Lage bei Tageslicht und weniger Wind. Mit verringerter Crew geht es nur unter Jib weiter. Statt acht fahren wir noch sechs Knoten - aber immerhin, wir fahren noch. Jetzt gilt es, Ressourcen zu schonen und die Stimmung nicht kippen zu lassen. In der Nacht wird noch das Trysail gesetzt.

Am nächsten Morgen der Schadensbericht: Das Segel hat schon bessere Tage gesehen, aber mit ein paar Patches glauben wir, das Segel weiter nutzen zu können. Schnell die Segelmachertasche raus, Segel trocknen so gut es geht, und Patches drauf – Ocean Racer Style. Nach 18 Stunden ist das Groß wieder oben, und wir, zufrieden mit unserer Arbeit, sind wieder im „Push“ Modus – noch ist nichts verloren. Wir geben alles.

Mittlerweile sind wir bei Land’s End angekommen. Das Großsegel ist sichtlich mitgenommen vom Killen in der ersten Nacht, in der kommenden Nacht stehen uns erneut bis 25 Knoten bevor und das zweite Reff ist kaputt. Unser Glück: Wir wissen, dass der Wind vor dem Aufbrisen nochmal abflaut. Diesen Zeitraum nutzen wir, um in der Abenddämmerung das Segel sicher zu bergen und weitere Schäden zu vermeiden. Erneut stehen wir vor der Frage, wie – und ob – diese Regatta für uns weitergehen kann. Dieses Mal setzen wir das Trysail direkt, fahren weiter, und nehmen uns die Zeit, nichts zu überstürzen. Keine einfache Entscheidung, aber der Wille der Crew ist ungebrochen: Nach allem, was wir durchgemacht haben, wollen wir zu Ende bringen, was wir angefangen haben. Nach Land’s End nehmen wir Halbwinds mit Jib und Trysail bei 22 Knoten Wind durch die Nacht Kurs auf den Fastnet Rock – langsam sind wir nicht, aber spätestens jetzt wird allen klar, dass eine gute Platzierung immer schwerer zu erreichen ist. Doch die Crew hält zusammen, die Motivation ist hoch, und wir geben unter unseren Bedingungen alles.

Die zweite Nacht ist vorüber, und im Laufe des Vormittags kommt der Rock in Sicht. Wir sind noch nicht da, doch für alle ist dies ein wichtiger Moment: Trotz aller Rückschläge ist der wichtigste Meilenstein fast erreicht! Bei 10 Knoten Wind dauert es bis in den Abend, bis wir den Rock runden. Bis dahin wird die Zeit genutzt, um die Stiefel zu lüften und die Socken zu trocknen.

Am Montagabend gegen 17 Uhr ist es dann so weit: Alle sind an Deck, wir runden den Rock, alle genießen den Moment. Es gibt ein Lob vom Skipper für die Arbeit und den Willen bis hierhin, und alle sind sicher: Gemessen am Aufwand ist bereits mehr als die Hälfte geschafft. Und jetzt beginnt der schnelle Teil. Wir fallen ab, der A4 geht hinter der Jib hoch und bei Boatspeed bis 20 Knoten rasen wir Richtung Scillies. Wir geben alles, um mit dem Wettersystem ins Ziel zu fahren und der hinter uns lauernden Flaute davonzufahren. Doch nach vier Stunden defensiven, aber schnellen Segelns gibt es Probleme mit dem A4 und wir müssen nur unter Jib weiterfahren – niederschmetternd für alle an Bord, denn nun holt uns die Flaute ein. Schnell wird die neue Lage beurteilt: Die Crew ist weiterhin stark, das Essen sollte so gerade reichen und Klopapier muss auch noch nicht rationiert werden. Die Scillies erreichen wir Dienstagmorgen, können sie jedoch wegen der aufgezogenen Flaute erst Dienstagabend wirklich hinter uns lassen. Doch der Wind dreht leicht zu unserem Vorteil, und wir können unseren Masthead Code Zero auspacken, mit dem wir, wie schon bei früheren Regatten, plötzlich losfahren und der Flaute entkommen. Der Wind nimmt bei Kurs auf Cherbourg weiter zu, wir wechseln auf den etwas kleineren Fractional Code Zero und fahren gleichermaßen schnell der Ziellinie entgegen. Auf dem Weg dorthin liefern wir uns einen spannenden Kampf mit dem Gewinner des letzten Fastnet. Erst setzen wir uns durch, im Ziel angekommen war das andere Boot hinten raus stärker.

Mit zweistelligem Boatspeed fahren wir schließlich nach 4 Tagen, 4 Stunden, 14 Minuten und 16 Sekunden über die Ziellinie in den Vorhafen von Cherbourg. Die Segel sind schnell gefurlt und das Trysail schnell geborgen. An der Pier warten bereits Freunde und Familie mit einem Anlegebier auf uns. Leinen fest, alle Anspannung fällt endgültig und pure Freude nach allen Aufs und Abs stellt sich ein. Wir haben es geschafft! Trotz aller Widrigkeiten das Rennen beendet!

Unser Skipper hatte wieder mal voraus gedacht und kurz darauf wurde die vor dem Zieldurchlauf bestellte Pizza geliefert, auf die sich alle stürzen. Schnell ein Crew Foto gemacht, und dann kommen Lennart Burke und Melvin Fink vorbei, mit denen wir uns über die aufregende Regatta am Steg austauschen.

Eine weitere Überraschung wartet zwei Tage später bei der Siegerehrung auf uns, als wir unerwartet die Roger-Justice-Trophy als beste Segelschule gewinnen. Dieser Gewinn, die Siegerehrung und die anschließende Feier sind der perfekte Abschluss dieser abwechslungsreichen und rückblickend fantastischen Regatta und HVS-Reise.

 

Vielen Dank von der gesamten Crew an alle, die dies möglich machen!

 

Unser Segel-Setup bei Zieldurchfahrt hat es ins RORC-Video geschafft, zu sehen hier:

www.youtube.com/watch (ab Minute 1:25)